Hochsommertage am Innvikfjord

von Klaus-Jürgen Fiacre, Düsseldorf

"Nosi" steht auf dem Schild, das mit dem Symbol "Sehenswürdigkeit" versehen ist. Kurz vor der Tunneleinfahrt findet sich eine Parkmöglichkeit am Straßenrand. Ich folge einem Pfad, der eine sich sanft neigende Wiese quert. Dann erblicke ich eine Absperrung, und gleich darauf fällt mein Blick auf den Fjord, in dem sich das Sonnenlicht widerspiegelt.

Noch einige Schritte, und ich stehe auf einem Felsen, der ca. 500 m fast senkrecht hinunter in den Nordfjord abfällt. Der Blick, der sich mir bietet, ist atenberaubend und kaum in Worte zu kleiden. Unterhalb liegt der spiegelglatte Fjord, der sich in leichtem Bogen nach Westen zum Meer hin öffnet. Keine noch so kleine Wolke bringt Abwechslung in das tiefe Blau des Himmels. Weiß leuchten die Gletscher des Ålfotbreen zu mir herüber. Dort, wo die Hänge die größte Steilheit aufweisen, sind sie mit Bäumen bewachsen. Die nach Süden liegenden Hänge leuchten in unterschiedlichen Grüntönen: Hellgrün die Wiesen, in einem dunkleren Grün die Obst- bzw. Himbeerplantagen; der Nadelwald weist die dunkelste Grünfärbung auf. Mein Blick fällt auf das Straßenband, das sich in zahlreichen Serpentinen bis hinunter zum Wasser zieht. Diesem muß ich noch bis zum ehemaligen Bauernhaus, das für die nächsten beiden Wochen Standquartier sein soll, folgen. Zahlreich sind die Wohnhäuser und Höfe, die sich als helle oder rote Farbtupfer von dem ansonsten grünen Hintergrund abheben.

Von Stryn kommend, bin ich einige Kilometer dem Riksvei (Rv)15 Richtung Nordfjordeid gefolgt und in einer scharfen Rechtskurve auf den Rv 613 in Richtung Hopland abgebogen. Dies ist der westlichste Ort der Gemeinde Stryn am Nordfjord in Westnorwegen. Die Straße dorthin wird "Panoramavegen", Panoramastraße genannt, bietet sie doch immer wieder großartige Ausblicke auf den inneren Nordfjord, der hier Innvikfjord heißt. An keiner Stelle der Nordfjordregion liegen die Höfe an solch steilen Hängen. Bevor 1959 die Tunnelstraße fertiggestellt wurde, war Hopland isoliert von den übrigen Gebieten des Nordfjords. Man war auf das Schiff angewiesen, sei es, dass man zu Gottesdiensten, zum Gemeindezentrum, ins Krankenhaus oder zu einem größeren Einkauf wollte. Es gab zwar einen schmalen Pfad hoch über dem Fjord zu den zentraler gelegenen Teilen der Gemeinde, doch der war oftmals nur unter Gefahren zu begehen.

Die Nadel der Armbanduhr geht auf 18.00 Uhr zu, als ich langsam zum Anleger im "Zentrum" hinunterrolle und nicht wenig erstaunt bin, von meinen drei Bekannten, die ich eigentlich später hier erwartet habe, willkommengeheißen zu werden. Die Drei sind am Nachmittag angekommen, haben schon ein Bad im Fjord genommen und lassen sich am Anleger von der Sonne bräunen. Da der Wagen wie immer auf meinen Nordlandreisen vollgepackt ist, fahre ich die gut 500 m zu unserem Haus, während die anderen zu Fuß folgen.

Wir lernen Hopland kennen
150 m oberhalb des Innvikfjords gelegen, von Obstbäumen, Himbeerhecken und Johannisbeersträuchern allseits umgeben, macht "Fjellstad", so der Name des ehemaligen Bauernhofes, einen tollen Eindruck auf mich. Dieser wird im Innern des Haupthauses noch verstärkt, ist doch unsere Unterkunft großzügig ausgestattet: u.a. mit zwei Wohnzimmern, drei Schlafzimmern und alles stilvoll möbliert. Ich trete an eines der Wohnzimmerfenster, das Ausblick auf den Innvikfjord gewährt und bin sprachlos. Ein Anblick, wie man ihn mit Worten kaum beschreiben kann. Unter mir das grünlichgraue Wasser des Fjords. Zum Fjordinnern geht der Blick über Hopland und Nordsida, Nordseite, hinüber zu den Gletschern des Jostedalsbreen, während im Westen, zum Meer hin, der Ålfotbreen mit seinen eisbedeckten Höhen den Blick auf sich zieht. Phantastisch die Vorstellung, hier zwei Wochen verbringen zu dürfen. Das Nebenhaus, ein ehemaliges Stallgebäude, dient nun als Abstellraum und beherbergt unsere Trockentoilette. Dann treten auch die drei Mitstreiter ins Haus und wir richten uns zunächst gemütlich ein, bevor wir darangehen, den Hunger zu stillen.

Damals und heute
Randabygda und Hopland - so die Namen der beiden zusammengehörenden Ortsteile - ziehen sich auf beiden Seiten des Flusses Hoplandselva die Talflanken empor. Die Hänge hinunter zum Fjord sind sie so steil, dass es fast unmöglich ist, Traktoren zur Arbeit einzusetzen. Das Heu wird hier gewöhnlich von Hand zusammengeharkt, auf Planen gelegt, verschnürt und dann zum Wirtschaftsgebäude oder Silo hochgezogen. Die unteren Fjordhänge sind alle mit Obstbäumen bepflanzt, denn sie sind südexponiert und windgeschützt. Das Frühjahr kommt hier zeitig. Während unten die Obstbäume in voller Blüte stehen, kann in den oberen Teilen der Gemeinde der Frühling noch auf sich warten lassen. Die am höchsten gelegenen Höfe von Randabygda, Åland genannt, liegen auf einer ebenen Fläche und sind daher sehr viel leichter zu bearbeiten. So kann man deutlich zwei unterschiedliche Höhenlagen mit verschiedenen Bearbeitungsmöglichkeiten voneinander unterscheiden: Der untere, fjordnahe Teil ist abschüssig, der obere flach; danach steigt es gleichmäßig Richtung Fjell an, wo große Almen seter zu finden sind. Glittereggja, 1297 m.ü.NN., ist der höchste Berg zwischen dem Innvikfjord und dem weiter nördlich gelegenen See Hornindalsvatn, mit 514 m der tiefste Binnensee Europas. Hier liegt ein einzigartiges Weideland mit einer der größten Almen in der Region. In diesem Weidegebiet finden wir viele alte Heuscheunen oder Reste ehemaliger Heuspeicher. Solche Heuvorratshäuser waren in ganz Nordfjord verbreitet. Bis zu 90% des Futters wurde in früheren Zeiten von den Bergen geholt, in den Heuscheunen gelagert, um im Winter mit Schlitten zu den Höfen transportiert zu werden. Gestelle zum Heutrocknen, sog. hesjer, die aus einer Reihe von Pfählen, zwischen denen Drähte gezogen sind, bestehen, sind heute kaum noch in Gebrauch. Das Heu von abgelegenen Wiesen wurde an vielen Orten in Ballen verpackt die Hänge hinuntergerollt. Anderenorts gab es Seilbahnen oder Drahtseilwinden zum Transport zum nächstgelegenen Fahrweg oder direkt zu den Höfen - eine enorme Arbeitserleichterung gegenüber der reinen Handarbeit. Aber nur wenige solcher Vorrichtungen sind noch in Gebrauch. Wo es möglich ist, werden die Wiesen mit Maschinen gemäht, das Gras unmittelbar ins Silo verfrachtet oder, in weißen Kunststoffballen verpackt, für einige Zeit liegengelassen.

Unten am Fjord befindet sich ein Geschäft mit Waren des täglichen Bedarfs, vor allem auch solchen, die auf die angelnden Touristen ausgerichtet sind. Außerdem ein stundenweise geöffnetes Café und ein ehemaliger Schiffsanleger, der noch aus der Zeit stammt, als der gesamte Verkehr per Schiff erfolgte. Alte Bootsschuppen und teilweise verfallene Sägemühlen liegen am Fjordufer aufgereiht. Fast alle Fracht und die Personenbeförderung wurde im Bereich des Nordfjords ehedem von Schiffen bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts bewältigt. Die Straße über das Strynefjell und somit nach Ostnorwegen war acht bis neun Monate im Jahr unpassierbar, nur Schiffe konnten Sommer wie Winter verkehren. Es war keine schnelle, aber eine zuverlässige Verbindung. Und der Fjord verknüpfte beide Ufer miteinander und verband auch die Nordfjordregion mit der Küste.

Der Wasserweg war immer die wichtigste Verkehrsroute. Erst in unserer Zeit, wo nur noch Minuten und Sekunden zu zählen scheinen, wird er als Hindernis empfunden, und so quälen sich Lastwagen auch über die schmalsten und abschüssigsten Straßen, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Die letzte planmäßige Schiffsroute entlang des gesamten Fjords von Stryn nach Bergen wurde 1991 eingestellt. Wer heute den Nordfjord bereisen will, muss schon eines der Kreuzfahrtschiffe besteigen, die regelmäßig den Fjord in den Sommermonaten befahren. Diese legen in Olden an, um dort ihren Mitreisenden einen Besuch des Briksdalsbreen, einer Gletscherzunge des Jostedalsbreen, zu ermöglichen.

Die Erholung kommt nicht zu kurz
Schon vormittags brennt die Sonne, so, wie wir es von Westnorwegen eigentlich nicht gewohnt sind. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es hinunter zum Anleger. Von Per, dem kjøpmann, Kaufmann, erhalten wir ein Boot, an dem wir unseren Außenborder befestigen wollen. Den haben wir schnell verfrachtet, rudern einige Meter vom Anleger fort, bringen ihn am Heck an und wollen nun starten. Das haben wir uns aber nur gedacht, dass dies so einfach geht! Wieder und wieder versuchen wir, den Motor in Gang zu setzen. Unter Verursachung großer, bläulicher Qualmwolken läuft der Motor nur unregelmäßig und "säuft" immer wieder ab. Gut eine Stunde müssen wir aufwenden, um ihn endlich richtig ans laufen zu bringen. Wir sind durch die Anstrengung in der vormittäglichen Wärme schweißgebadet und sehnen uns nach einem Bad im Fjord. Zu viert im Boot, kommen wir gut voran, obwohl nur ein schwacher Motor das Boot antreibt. Bald haben wir den Innvikfjord überquert und suchen am Ufer eine Möglichkeit, um einen Rastplatz zu finden, der uns ein Bad im Fjord ermöglicht.

Ich will zunächst mein Angelglück versuchen und lege wieder vom Ufer ab. Doch sooft ich die Angel auswerfe, es will und will nichts anbeißen. Dann endlich, ein Biss! Doch welch eine Enttäuschung: nur ein kleiner Rotbarsch, zu winzig, um ihn als Mahlzeit zu verspeisen. Also, wieder hinein mit ihm ins Wasser! Nun wage ich auch ein Bad im Fjord. 18 °C soll heute die Wasssertemperatur sein. Zuerst habe ich den Eindruck, dass das Wasser doch einiges kälter ist, aber nach kurzer Gewöhnungszeit empfinde ich es richtig angenehm. ich kann mich nicht erinnern, jemals im Norden in solch temperierten Fjordwasser geschwommen zu sein.

Am frühen Abend geht es dann quer über den Fjord zurück nach Hopland. auch hier nehmen wir noch einmal ein Bad und sonnen uns dann am Anleger. Das heißt, ich suche vornehmlich unter dem Sonnenschirm Schutz vor den Sonnenstrahlen, ist es doch noch um 18.00 Uhr 29 °C heiß.

Schon auf dem Fjord haben wir hier und da schwarze Körper sich aus dem Wasser emporheben sehen und vermuten, dass es sich vielleicht um Seehunde handeln könne. Während wir in der Sonne am Anleger sitzen, kommt Per, der kjøpmann, zu uns und erzählt, dass es sich um Kleinwale handelt, die sehr schnell im Fjord hin- und herziehen. Per, der recht gut Deutsch spricht, hat seine Sprchkenntnisse durch den Kontakt mit deutschen Urlaubern, die seit 25 Jahren nach Hopland kommen, erworben. Während seiner Schulzeit hatte er nur ein Jahr Deutschunterricht. Da ich ihn bei unserer ersten Begegnung norwegisch angesprochen habe, unterhalten wir uns auch weiterhin in dieser Sprache. Nach einigen Tagen habe ich mich an seine Art des Norwegischen gewöhnt, und die Verständigung klappt tadellos.

Abends am Fjord
Wie schon erwähnt, bietet sich von der Terrasse unseres Hauses ein imposanter Blick auf den Fjord, Obstbaumhänge und Gletscher. An diesem Abend ist es klar und der Himmel wolkenlos. Nach einem guten Abendessen setzen wir uns vor das Haus, was bei den heutigen Temperaturen äußerst angenehm ist. Über dem Jostedalsbre geht die fast runde Scheibe des Mondes auf. Höher und höher steigt er und zieht dabei Richtung Süden, sein bleiches Licht auf den Fjord werfend. Je dunkler es wird, desto kräftiger scheint er auf das Wasser. Dann taucht am Fjordende ein weißer Fleck auf, wird größer und größer, nimmt die Gestalt eines Kreuzfahrtschiffes an, das ruhig den spiegelglatten Fjord entlangzieht. Als es unsere Unterkunft passiert, können wir durch das Fernglas den Namen "Mermoz" entziffern. Bald entschwindet das Schiff hinter einer Biegung unseren Blicken, und langsam verebben die von ihm hervorgerufenen Wellen, die das Fjordwasser leicht kräuseln. Dann ziehen abermals dunkle Körper unsere Blicke auf sich, die kurz aus dem Wasser auftauchen und dann verschwinden. Es sind wieder Kleinwale. Wir hören das Ausstoßen der Atemluft.

Der Mond scheint inzwischen so kräftig, dass sein Licht alles hell erleuchtet; wir können draußen sogar noch gegen 23.00 Uhr lesen, was an den vorherigen Abenden nicht möglich war. Doch allmählich fordert dieser lange, abwechslungsreiche Tag sein Tribut. Die Müdigkeit ergreift von uns allen Besitz und nach Mitternacht finden wir allmählich den Weg in die obere Etage des Hauses, wo die Schlafzimmer liegen.

Ich blicke durch das Fenster über den Fjord. Kein Laut ist zu vernehmen. Dann lösche ich das Licht.


Mit freundlicher Genehmigung des Nordland Forum, ©Klaus-Jürgen Fiacre
aus Heft Nr. 13, September 1996
Das "Nordland Forum" erscheint vierteljährlich, Jahresabo 11,48- €

Zu bestellen bei:
Klaus-Jürgen Fiacre, Rather Broich 86, 40472 Düsseldorf

 

Weiterführende Links zum Innvikfjorden:

Briksdalsbreen-Info

©2000 by Otto and Mechtild Reuber

Home